Die ZDF-Hitparade | Rückblickend betrachtet #1

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Bert Verhoeff (Anefo) @Wikimedia Commons (CC0 1.0 Public Domain)
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1969-1980 konservativ, aber doch innovativ
Fangen wir passenderweise ganz am Anfang an. Ab Mitte der 60er gewannen Musiksendungen im Fernsehen immer mehr an Beliebtheit. Sendungen wie Beat-Club waren in aller Munde, jedoch in konservativen Kreisen durchaus ein Dorn im Auge. Dem damaligen Zeitgeist geschuldet, waren vor allem die älteren Leute Musikrichtungen wie Beat, Rock ‚n‘ Roll oder allgemein englischsprachiger Musik skeptisch bis ablehnend gegenüber. In dieser Situation sah das ZDF Ende der 60er nun die große Chance: Eine neue Vorabendsendung in Form einer Musiksendung, ausschließlich mit deutschsprachiger Musik, möglichst Schlager mit Heile Welt-Texten. Das klingt zunächst nach einer sehr konservativen Veranstaltung, jedoch ließ man sich beim Erstellen des Konzepts einige Neuerungen im Verhältnis zu bisherigen Musiksendungen einfallen und diese waren – mit Verlaub – revolutionär. Zum einen waren die Zuschauer im Studio ihren Idolen so nah, wie noch nie zuvor. Nicht selten saßen die Musiker zwischen den Studiogästen oder gingen während ihres Auftritts zwischen den Zuschauerreihen entlang. Einigen Zuschauern wurde sogar die Ehre zuteil den Musikern während ihres Auftritts Blumen überreichen zu dürfen. Im Verhältnis war die Stimmung entsprechend persönlicher. Eine weitere Neuerung war, dass die Musikgäste ihre Beiträge live sangen, lediglich mit einem Playback für das Instrumental (selbst für heutige Verhältnisse eine Besonderheit). Hinzu kommt noch die Orientierung an den Wünschen der Zuschauer. Zum ersten Mal konnte das Publikum selbst wählen, wer in einer Musiksendung auftreten sollte. Bis 1982 konnten die Zuschauer per Postkarte für ihre Favoriten stimmen. Bereits ein Jahr zuvor startete die ZDF-Starparade, bei der man sich gleich zweimal bediente: Zum einen wurde James Last, der sein Orchester für die Starparade zur Verfügung stellte, für die Titelmelodie der Hitparade engagiert. Zum anderen wurde Dieter Thomas Heck in der Starparade bereits als Sidekick eingesetzt. Heck bleibt bis heute das Gesicht der ZDF-Hitparade und seine für die 60er und 70er gewitzte (aus heutiger Sicht eher antiquierte) Moderation passte zum traditionellen Charme der Sendung. Dennoch: Als ein Bild-Redakteur im Studio war, um eine Ansprache über verstorbene Kinder im Straßenverkehr zu halten, zögerte Heck nicht ihm Werbung zu unterstellen.


https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dieter_Thomas_Heck_%282011%29_cropped.jpg (Blaues Sofa @Wikimedia Commons, CC 2.0)
Die erste Sendung am 18. Januar 1969 war ein voller Erfolg und übertraf die Erwartungen des Senders sogar noch. Geplant war eigentlich eine Sendung für das konservative Publikum zu produzieren, jedoch war die Hitparade schnell in aller Munde. Ganze Familien saßen gemeinsam vor dem heimischen Röhrenfernseher und verfolgten, wer wohl zur Nummer 1 in der aktuellen Hitparade gewählt wurde. Auch Liebhaber anderer Musikrichtungen waren von dem neuen, den Stars näheren Konzept begeistert, der Erfolgt war kaum zu bremsen. Bereits in der ersten Sendung war die Spitze der Schlagerwelt versammelt: u.a. traten bereits Roy Black, Rex Gildo, Bata Illic, Karel Gott und Peter Orloff auf. Noch im selben Jahr folgten Chris Roberts, Heino, Mary Roos, Paola, Michael Holm und Cindy & Bert. Es gab kaum eine bessere Gelegenheit für Schlagerstars ihre Musik dem breiten Publikum zu präsentieren und damit Werbung für ihre neusten Alben und Singles zu machen. Aber bereits im Startjahr zeigte sich auch schon das erste Problem: Roy Black wurde mit „Ich denk an dich“ gleich dreimal in die Hitparade gewählt und der Sender hatte die Sorge, dass die Musik nicht aktuell bleiben würde. Entsprechend kam die Regelung auf, dass dasselbe Stück nur noch einmal wiederholt werden durfte, und dann ausschied. Beliebt war es auch berühmte anderssprachige Stücke, deren Melodie seicht genug war, auf Deutsch zu covern. Einige Beispiele dafür sind Marianne Rosenberg mit „Herz aus Glas“ (Blondie), Michael Holm mit „Musst du jetzt grade gehen, Lucille“ (Kenny Rogers) oder natürlich Juliane Werding mit „Am Tag, als Conny Kramer starb“ (The Band). Vom Startjahr bis durch die 70er schien alles perfekt und ein Konzept für die Ewigkeit. Jedoch mit den anbrechenden 80ern zeigten sich die ersten Risse im Gefüge.

1981-1989 Zwischen Krise und Aufbruch
Die 80er waren ein harter Umschwung. Während der volkstümliche Schlager in den 60ern und 70ern ein sicheres Pflaster war, wirkte er langsam aber sicher altbacken. Doch das Konzept eine Jury eine Vorauswahl treffen zu lassen und dann die Zuschauer ihre Lieblingstitel auswählen zu lassen war nach wie vor sehr gefragt. So entschied sich der Sender zunächst die Titelauswahl etwas auszuweiten und auch die lockere Unterhaltungsmusik zu berücksichtigen. So folgten Auftritte von Mike Krüger (Der Nippel), Jürgen von der Lippe (So ein Kamel) oder den Gebrüdern Blattschuss (Früh-Stück). Ein Schritt das Publikum bei Laune zu halten, jedoch zeigte sich schon sehr bald eine viel gefragtere Musikrichtung hierzulande: die Neue Deutsche Welle. Natürlich würde ein Entsprechend sehr harter Umschwung bevorstehen, die Stammzuschauerschaft hatte keinen Bezug zu der bunten, neuen Musikrichtung und neben den bisherigen Gästen wie Bernhard Brink oder Howard Carpendale wirkte ein Markus im Verhältnis wie ein rebellischer Punkrocker. Noch traute sich der Sender nicht sich den neuen Klängen zu öffnen, auf Anfrage weigerte sich Dieter Thomas Heck sogar Geiersturzflug in der Sendung anzukündigen.
Das ZDF saß zwischen den Stühlen, die NDW könnte Zuschauer verschrecken, jedoch waren die Stammgäste der Sendung langsam aber sicher nicht mehr so gefragt. Gruppen wie Dschinghis Khan mussten kämpfen überhaupt noch in den deutschen Charts zu landen. Entsprechend bestand Zugzwang und es musste eine Entscheidung her, die in diesem Falle hieß: Her mit den NDW-Künstlern und diese neben den altbekannten Schlagerstars auftreten lassen – ganz egal wie deplatziert es wirken mag. Es spielte Rex Gildo zwischen Markus und der Spider Murphy Gang und Nena nach Tony Marshall. Die neuen Gäste waren deutlich Skandalfreudiger und liebten die Provokation der Spießbürger. So trat Hubert Kah für „Sternenhimmel“ im Nachthemd auf und genoss die Buhrufe und schockierten Blicke aus dem Publikum. Ebenfalls Frl. Menke, die sich trotz Verbot des Senders einen Hochzeitsschleier während „Traumboy“ ansteckte. Heute kaum der Rede wert, war es damals ein Skandal wegen Verunglimpfung des heiligen Bunds der Ehe. Trio waren etwas seichter und machten sich den Live-Gesang der Hitparade zu Nutze, um in ihren Gesangstext in eine spontane Bemerkung über Dieter Thomas Heck einzubauen. Irrwege gab es jedoch natürlich auch hier, wie das fürchterliche und bemüht witzige „Wat?“ von Willem.
Mit dem neuen, viel moderneren Anstrich war ein neues Publikum erreicht, jedoch gab es einen letzten Problempunkt: Dieter Thomas Heck war als Moderator nicht mehr zeitgemäß. Der konservative Moderator hatte einen veralteten Moderationsstil und er brannte für die Musik der NDW nicht so stark, wie er es für den Schlager der 60er und 70er tat. Ginge es nach ihm, hätten die 70er wohl nie geendet. Das ZDF trennte sich offiziell einvernehmlich von Heck und als Nachfolger wurde der 22 Jahre jüngere Viktor Worms ausgewählt. Mit dem neuen Moderator kamen auch einige andere Änderungen. Es wurden anderssprachige Texte zuglassen, wichtig war lediglich ein Bezug des Interpreten zu Deutschland. Dann wurde die Titelmelodie durch „The Final Countdown“ von Europe ersetzt. Die Abstimmung per Postkarte wurde außerdem durch ein Computerprogramm ersetzt. Aber die gravierendste Entscheidung kam erst etwas später. Die größte Qualität der Sendung wurde 1987 offiziell über Bord geworfen und der Livegesang durch ein Vollplayback ersetzt. All diese Neuerungen waren ein verzweifelter Versuch die Hitparade am Leben zu erhalten, denn es wurde immer schwieriger aktuelle Interpreten für die Sendung zu gewinnen. DAF, Ideal, Kraftwerk oder die toten Hosen weigerten sich in der Hitparade aufzutreten, da ihnen diese zu spießig war. Fest stand also, dass die Sendung von Kern auf modernisiert werden musste. Schlager ja, aber dann bitte einen frechen Hugo Egon Balder mit „Erna kommt“, als die Helden der alten Tage. Das ginge eine Zeit lang gut, jedoch sollten sich schon sehr bald neue konservative Interpreten für ein älteres Publikum einschleichen, wie etwa die Flippers.

1990-2000 Rückkehr zu den Wurzeln und das Ende einer Ära
Die Zeiten waren schwierig und der Sender war sich unschlüssig in welche Richtung es von nun an gehen soll. Uwe Hübner sollte der letzte Moderator der Hitparade werden und startete diesen Posten 1990. Es sollte noch bis ins Jahre 2000 weitergehen, jedoch verlor die Hitparade zunehmend an Relevanz. Im direkten Vergleich zu Sendungen wie Formel Eins wirkte die Hitparade schlicht veraltet. Die Idee die Sendung zu retten bestand darin die Schlagerstars der 60er und 70er wieder auftreten zu lassen und so die ursprüngliche Zielgruppe wieder zurück ins Boot zu holen. Jonny Hill, Rex Gildo und Al Bano & Romina Power gehörten wieder zur Stammbesetzung. Gleichzeitig kam ein Schwung neuer Interpreten dazu, die sich jedoch in dieses Bild nahtlos einfügten. Es verging kaum eine Sendung ohne die Flippers, Pur oder Tommy Fischer. Gleichzeitig versuchte man jedoch auch immer wieder ein jüngeres Publikum anzusprechen indem dann und wann mal Künstler wie Blue System oder Torfrock auftraten. Jedoch wurde im Laufe der Zeit auch darauf zunehmend verzichtet. Die Verzweiflung war am Ende so groß, dass im letzten Jahr der Hitparade selbst der spätere 9Live Abzocker Jürgen Milski einen Auftritt bekam. 1992 kam es zu zwei Neuerungen, die es in der goldenen Ära der Sendung bereits gab: Zum einen war erneut nur deutschsprachige Musik erlaubt, zum anderen wurde endlich wieder der Mut gefasst die Künstler live singen zu lassen. Genützt hatte das jedoch alles nichts mehr. Hübner konnte als Moderator nicht so stark punkten wie seine Vorgänger und das Konzept war schlicht ausgelutscht. Das Ende einzuleiten war konsequent und richtig.

Ab 2000 der Nachklang der Hitparade
Auch wenn die originale Hitparade am Ende ihrer Existenz nicht mehr die Klasse oder den Charme der frühen Jahre hatte, wurde die Sendung als ein Teil der Fernsehgeschichte gewürdigt. Als 2019 zum 50jährigen Jubiläum der Sendung eine Jubiläumsgala gedreht wurde, scharten sich die Gäste in die Sendung. Neben den Moderatoren Worms und Hübner waren auch Musiker aller Phasen der Sendung dabei (Selbst David Hasselhoff!). Es folgten weitere Sondersendungen wie Best Ofs und Radiosondersendungen, ein Zeichen, dass die Hitparade immer noch in den Köpfen der Leute war. Eine gänzlich missglückte Hommage war jedoch die Neuauflage „Die neue Hitparade“, die von 2009 bis 2011 auf RTL II lief. Das Moderatorenteam bildeten Jochen Bendel (Moderator von Ruck Zuck 1992-2005), Aleksandra Bechtel (Zuvor Moderatorin bei Big Brother) und Thomas Anders. In der ersten Ausgabe war auch Matze Knop mit einer Dieter Thomas Heck-Imitation dabei, mit mäßig gelungenem Humor. Zwar wurden einige Künstler eingeladen, die bereits in der Originalsendung aufgetreten sind, wie Christian Anders oder Marianne Rosenberg, jedoch lag der Fokus auf aktuelleren Musikern. Selbst wer die Uwe Hübner-Ära der Originalsendung noch als angenehm empfand wurde spätestens hier verschreckt: Von Partyschlager-Milchbubi Tobee über Österreichs größtes Musikverbrechen DJ Ötzi bis hin zum Oberhaupt aller modernen Verschwörungstheoretiker Michael Wendler wurde keine Geschmacklosigkeit ausgelassen und als große musikalische Bereicherung angekündigt. Selbst die Atzen bekamen einen Auftritt, womit jeder Bezug zum Original gänzlich verloren ging. Von weiteren Neuauflagen wurde bisher glücklicherweise abgesehen.

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