Koen Suyk @Nationaal Archief (CC0)
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sex_Pistols_in_Paradiso_-_Johnny_Rotten_2.jpg
Die Sex Pistols sind neben den Ramones wohl die bekannteste Punk-Band der Welt. 1975 von dem Cockney-Urgestein John Lydon alias Johnny Rotten gegründet, kam es zunächst zu vielen Besetzungswechseln, ehe das erste (und einzige) Studioalbum anstand. Während der Aufnahmen stieß der exzentrische und musikalisch wenig begabte Sid Vicious zur Band, der zu einem absoluten Punk-Idol wurde. Nachdem Vicious seine Freundin Nancy im Drogenrausch erstach und kurze Zeit später selber umbrachte, lösten sich die Sex Pistols zunächst auf und kamen nur noch für einige Live-Auftritte zusammen. John Lydon gründete nach dem Ende der Sex Pistols die Band Public Image Ltd, die deutlich von Avant-Garde geprägt war. Ein harter Stilwechsel, den Lydon gekonnt meisterte. Mittlerweile treten die Sex Pistols mit ex-Gallows Sänger Frank Carter auf und nach einer Pause von 1992 bis 2009 tourt auch Lydon mit PiL wieder fleißig. Zwischendurch trat er sogar als Jester in der US-Version von The Masked Singer auf.
TOP 5 zum ersten Reinhören:
Sex Pistols:
Holidays in the Sun (1977, Never Mind the Bollocks, […])
God Save the Queen (1977, Never Mind the Bollocks, […])
Anarchy in the U.K. (1977, Never Mind the Bollocks, […])
Pretty Vacant (1977, Never Mind the Bollocks, […])
My Way (1978, Single)
Public Image Ltd:
Public Image (1978, Public Image: First Issue)
Death Disco (1979, Metal Box)
Socialist/Chant/Radio 4 (1979, Metal Box)
This Is Not A Love Song (1984, This Is What You Want… […])
Home (1986, Album)
That What Is Not (1992) – 2,5/10: Reinfall!
Das letzte Album, bevor sich PiL für eine lange Zeit auflösten, hat einen sehr schlechten Ruf und das leider auch zurecht. Doch woran liegt das? Nun, schuld sind mehrere Aspekte. Zum einen wurde bei vielen Stücken die PiL-Formel kopiert und am Ende überstrapaziert. Es klingt einfach vieles wie schonmal in besser gehört. Zum anderen klingt Lydon sehr unschlüssig, ob er nun in die härtere Punk-Richtung oder in poppige Gefilde gehen möchte. Dabei fängt das Album mit „Acid Drops“ sogar sehr vielversprechend an: angespannt, dazu teils folkige Klänge. Abseits davon ist allerdings kaum Qualität zu finden. „Luck’s Up“ ist trotz der spannenden Thematik über die Hoffnungslosigkeit von Junkies sehr zahnlos, Stücke wie „Covered“ oder „Love Hope“ reihen sich dort ein. Auf „Cruel“ näherte man sich dem 80s-Pop an und auf „God“ versagte der Spagat aus Post-Punk und Massentauglichkeit. Gegen Ende sind auch noch ein paar absolute Peinlichkeiten vertreten, dazu gehören „Unfairground“, „Emperor“ und das chaotische „Good Things“. „Think Tank“ klingt hingegen auf dem Papier noch recht interessant, da Lydon sich dort über Missinterpretationen und Falschaussagen zu seiner Vergangenheit aufregt. Doch das Stück geriet leider viel zu zahm – Schade!
TOP: Acid Drops
Psycho’s Path (1997, John Lydon) – 3,1/10: Zwiespältig!
Psycho’s Path ist Lydons einzige Soloplatte. Während die Namen Sex Pistols und Public Image Ltd sehr groß wurden, beschränkte Lydon seine Solokarriere hauptsächlich auf Liveauftritte. Sein Soloalbum gerät gerne mal etwas in Vergessenheit, da es größtenteils starke Qualitätsmängel hat. Dabei startet es sogar recht vielversprechend: „Grave Ride“ und „Dog“ sind ebenso psychedelisch wie spannungsgeladen. „Sun“ gehört sogar zu den besten Sachen, die Lydon überhaupt je veröffentlicht hat. Danach bricht die Qualität jedoch rapide ab. Langweilige Psychedelic-Experimente („Another Way“), Progressive Disco („Dis-Ho“) und Stücke, die sich zwischen Pop und Experimental nicht entscheiden können („Take Me“) reihen sich hier aneinander. Dazu kommen noch viele Elektro-Spielereien, mal künstlerischer („Stump“), mal poppiger („Armies“). Von den ganzen Remixen gen Ende des Albums wollen wir gar nicht erst anfangen. Schade eigentlich, denn Lydon beweist auf diesem Album erneut dass er ein respektables instrumentelles Können hat.
TOP: Grave Ride; Dog; Sun
9 (1989) – 3,9/10: Zwiespältig!
PiL verabschiedeten sich aus den 80ern mit einem sehr Pop-lastigen Werk. Zwar ist Lydons verrückte, experimentelle Art stets zu hören, aber der Drang ein außergewöhnliches Album aufzunehmen scheint nicht so wirklich durch. Eher wirkt der überwiegende Teil „ganz okay“ – viel zu wenig für ein PiL-Album. Der Opener „Happy“ ist bestenfalls Durchschnitt, „Worry“ und „Armada“ sind kunstvoll verpackt, aber sehr inhaltsleer. Bei „Brave New World“ driftet das Ganze dann noch ins viel zu seichte ab. Ärgerlich ist dass nicht mehr aus „USLS 1“ gemacht wurde, denn die spacigen Klänge sind vielversprechend, bleiben aber weit hinter ihren Möglichkeiten. „Disappointed“ hingegen wurde ein kleiner Hit, wirklich punkten kann aber eher das spirituelle „Warrior“. Außerdem ist mit dem Alternative Rocker „Sand Castles In The Snow“ noch ein Geheimtipp enthalten. Übrig bleiben noch die unnötigen Dancetracks „Like That“ und „Same Old Story“ (letzteres ist zu allem Überfluss noch sehr krampfhaft künstlerisch wertvoll).
Eine Band hinter ihren Möglichkeiten, aber nach so vielen starken Alben ist ihnen dieser Ausrutscher verziehen.
TOP: Warrior; Sand Castles In The Snow
This Is PiL (2012) – 4,3/10: Zwiespältig!
Das Comeback nach 17 Jahren war eine holprige Angelegenheit. Zwar ist der alte Spirit der Band noch vorhanden (vor allem in Lydons Stimme), aber dennoch will das Album nicht so recht zünden. Die guten Stücke sind quer über das Album verteilt, aber dennoch gibt es viel Leerlauf mit Stücken, die zwar solide, aber recht unspektakulär sind. Interessant ist auf dem Album allerdings die Zuwendung zu smootheren Klängen. Das sticht besonders positiv beim Funk-Stück „I Must Be Dreaming“ hervor. Bei Stücken wie „Fool“ oder „Reggie Song“ ging der Schuss dann eher nach hinten los. Das verhängnisvoll anmutende „Deeper Water“ kann dafür punkten, genau wie der Schlusstrack „Out of the Woods“. Bis dahin gibt es allerdings einige nur mäßig geglückte Experimente: „This is PiL“ ist eine müde Comeback-Ankündigung, „Human“ ist PiL-Massenware, „The Room I Am In“ ein minimalistisches Spoken Word-Stück und „Lollipop Opera“ ist eine verrücktes Electronica-Klangexperiment. Das alles zeigt natürlich den Wagemut, den die Band auch beim Comeback beibehalten wollte. Doch insgesamt ist es mehr eine Fingerübung als ein Highlight in der PiL-Diskografie.
TOP: Deeper Water; I Must Be Dreaming; Out of the Woods
What the World Needs Now… (2015) – 5,1/10: Gelungen!
Auch das zweite Reunion-Album will nicht so ganz zünden, aber dennoch geht es spürbar bergauf. Hauptproblem des Albums ist, dass Lydon kein festes Ziel vor Augen hat. Es wird sich an den alten Erfolgen bedient, neue Einflüsse kommen zwar hinzu, doch es fehlt leider etwas an Wagemut. Stücke wie „Big Blue Sky“, „Corporate“ oder „Shoom“ haben zwar eine künstlerische Note, doch der Avant-Garde-Stil der Metal Box-Ära wird schmerzlich vermisst. Auch poppigere Stücke bleiben oft blass, so wie bei „The One“ oder „Know Now“. Zu schade, dass so viel Füllmaterial dieses Album befleckt, denn es sind auch einige Knaller enthalten. Von der kühlen, wenngleich energetischen Art punkten „Whole Life Time“ und vor allem „Bettie Page“. Besonders lässig viel die Post-Punk-Perle „Spice of Choice“ aus. Ordentlich punkten können noch der Opener „Double Trouble“ und „I’m Not Satisfied“, bei denen Lydon zwar deulich weniger lässig auftritt, dafür aber in bester Cockney-Manier seine Wut herausschreit (Ironischerweise, da es in ersterem Lied darum geht Lösungen zu finden, anstatt sich aufzuregen). Das Album hätte gut um 20-30 Minuten gekürzt werden können und hätte damit an Qualität gewonnen. Es gilt also erstmal viel Füllmaterial abzuwarten, bevor die Highlights hervorscheinen.
TOP: Double Trouble; Bettie Page; Spice Of Choice; I’m not Satisfied
Spunk (1977) – 5,8/10: Gelungen!
Das legendäre Studiobootleg der Sex Pistols noch ganz ohne Sid Vicious. Gerade aus Musikhistorischer Sicht hat dieses Album seinen Reiz, denn zu den meisten Rockklassikern gibt es keine Rohversionen, erst recht nicht zu einem ganzen Album. Die Band klingt logischerweise noch schiefer als auf dem fertigen Werk, und wirkliche Überraschungen sind nicht geboten, aber die Band in ihrer rohen Form zu hören macht einfach Spaß.
End Of World (2023) – 6,6 /10: Gelungen!
Achte Jahre Zeit ließen sich PiL, bevor das nächste Album folgen sollte. Passend zum Jahr 2023 trägt es nun also den Namen „End of World“. Und damit hat das Album sogar einen roten Faden: John Lydon trifft zum überwiegenden Teil als Verkünder des Unheils auf und gibt dem Album damit eine Struktur bzw. Richtung, im Gegensatz zu den beiden Vorgängeralben. Ganz ohne Mittelmaß kommt das Album zwar leider nicht aus, doch bereits der Anfang ist eine kräftige Ansage. „Penge“ ist ein angespannter Artrocker mit Weltuntergangsstimmung, wird vom verspielten Post Punks des Titellieds abgelöst und geht dann zum Synthesizer-Artpop von „Car Chase“ über. Das Niveau wird zwar nicht durchgängig gehalten, aber es gibt noch einige Highlights auf dem Album zu entdecken. Auf „Strange“ beispielsweise zeigt sich die Band sehr kühl und unheilvoll, gleichzeitig wird das Instrumental in den Hintergrund geschraubt. „The Do That“ ist hingegen sehr ungewöhnlich, denn hier wird mit Scat-Gesang und Funk-Rhythmen ausgetobt. Dazwischen gibt es viel Solides (Walls, L F C F), aber leider auch recht viel Ausdrucksleeres (Being Stupid Again, Down On The Clown). Einzig die seichte Pop-Ballade „Hawaii“ reißt den Schnitt nach unten.
TOP: Penge; End Of The World; Car Chase; Strange; The Do That
This Is What You Want… This Is What You Get (1984) – 6,7/10: Gelungen!
Lydon schaffte es dieses Mal nicht das hohe Niveau der Vorgängeralben zu halten. Zu krampfhaft versuchte er avant-garde Elemente in seine Stücke einzubauen. Dabei entstanden ziemlich viele Längen, denn das Konzept war schlicht ausgelutscht. Besonders deutlich wird das bei „The Pardon“ und „Where Are You?“. Bei dem elektronisch angehauchten „1981“ hingegen wird es schnell anstrengend. Ob der durchgeknallte Discotrack „Solitaire“ nötig gewesen wäre, muss wohl jeder für sich selbst entscheiden. Aber genug der Meckereien, denn obwohl das Album eher ein Zwischenwerk ist, gibt es einige sehr starke Stücke auf dieser LP. Dazu zählt natürlich die Single „Bad Life“ und das neu aufgenommene „This Is Not A Love Song“. Beide Stücke lassen sich am besten als eine Art unsauberer New Wave beschreiben, die wunderbar zynisch daherkommen. „Tie Me To The Lenght Of That“ sind über fünf Minuten reiner Psychotrip und mit „The Order Of Death“ näherte Lydon sich gekonnt Pink Floyd an, ohne diese schlicht zu kopieren. Damit endet dieses sonst durchwachsene Album mit einer spannenden Klangreise, die auch Prog-Hörerinnen und Hörer begeistern dürfte.
TOP: Bad Life; This Is Not A Love Song; Tie Me To The Lenght Of That; The Order Of Death
Album (1986) – 7,3/10: Gelungen!
Der Titel und das Cover des Albums mögen auf den ersten Blick recht einfallslos wirken, tatsächlich steckt allerdings eine ganz nette Idee dahinter: Je nach Medium (LP, Kassette, CD, MP3) wurde der Titel angepasst. Auch hinter den Kulissen wurde es spannend, denn Lydon feuerte die übrigen Bandmitglieder und ersetzte sie durch ein Potpourri an bekannten Musikern. Dabei waren unter anderem Ginger Baker (Cream), Steve Vai (Frank Zappa) und Ryuichi Sakamoto (Yellow Magic Orchestra). Das Ergebnis ist zwar keine Meisterleistung, aber dennoch sehr respektabel. Die glattere Produktion sorgte für modernere Stücke wie dem Alternative Rock „F.F.F.“ und natürlich dem lässigen Post-Punk „Home“. „Round“ und „Bags“ erinnern an die frühen Experimental-Lieder mit Hang zum Dadaismus der ersten Alben, dieses Mal allerdings deutlich melodischer. Ein absoluter Überraschungserfolg wurde „Rise“ (Platz 11 der UK-Charts!). So nachdenklich, wie zugleich auch kraftvoll erlebt man Lydon sonst selten. Der Post-Punk-Sound à la Joy Division ist besonders aif „Fishing“ vertreten und funktioniert dort auch gut – bei „Ease“ klang das Ganze dann leider zu überladen.
TOP: F.F.F.; Rise; Fishing; Home
Happy? (1987) – 7,7/10: Bester Stoff!
Nachdem PiL wieder zu einer festen Band formatiert wurde, wurde auch schon prompt ein neues Album nachgeliefert. Das Cover ist dieses Mal eine gelungene Hommage an Hundertwasser. Der Anfang des Albums ist etwas irreführend, da es zunächst recht poppig zur Sache geht, aber schon bald gibt es die erhoffte PiL-Kost. Vorab gab es zwei starke Singles, einmal das mainstreamige, aber gewohnt durchgeknallte „Seattle“ und kurze Zeit später das düstere und von Zynismus getränkte „The Body“. Absolute Höchstleistungen der Band, genau wie das verzweifelte „Save Me“ von dem es ganz am Ende des Albums auch noch eine Instrumentalversion gibt. „Hard Times“ fällt deutlich optimistischer aus als sein Titel vermuten lässt, eher klingt es wie eine Revoluzzer-Hymne. Auf „Open And Revolving“ gibt es sogar mal ungewohnte Soul-Anleihen, was erneut die Experimentierfreude von Lydon unterstreicht. Zum Schluss gibt es mit „Fat Chance Hotel“ nochmal soliden Post-Punk, der das hohe Niveau nicht ganz hält, aber durchaus seine Daseinsberechtigung hat. Ausrutscher sind nur das Psychedelic/Pop-Rührstück „Rules And Relugaltions“ und das funkige und stimmverzerrte „Angry“. Beide hätten nicht unbedingt sein müssen, aber die Höhepunkte überwiegen deutlich.
TOP: Seattle; The Body; Save Me; Hard Times; Open And Revolving
The Flowers of Romance (1981) – 8,0/10: Bester Stoff!
Ein Album das sich wie ein tranceartiger Zustand anfühlt. Erneut wurde auf psychedelische Klänge gesetzt, dieses Mal versuchte sich Lydon allerdings an Gebetsartigen Gesängen und das Instrumental fiel bisweilen recht minimalistisch aus. Bestes Beispiel ist dafür der Opener „Four Enclosed Walls“. Aber auch das Titelstück und das von Schlagzeug und Glocken getragene „Phenagen“ folgen dieser Formel. Getoppt wird diese Stimmung nur noch von „Under the House“, bei dem Lydons tranceartiger Gesang nur noch mit Getrommel unterlegt wurde. Ganz anders, aber definitiv gelungen ist auch „Go Back“. Das klingt ziemlich schmal, da kein Bass vorhanden ist und Lydon recht robotisch singt, aber gerade dort liegt der Reiz des Stücks. Ungewohnt, aber dennoch gelungen trifft auch auf „Hymie’s Him“ zu, ein leicht exotisches Instrumentalstück. Leider gerieten auch zwei ziemliche Gurken in dieses sonst sehr stimmige Album. Zum einen wäre da „Banging the Door“, auf dem Lydon seinen dreckigen Gesang mit einem Brummen unterlegte. Zum anderen der Schlusstrack „Francis Massacre“, der – bis auf die Drumms – ein instrumentales Chaos beinhaltet. Aber sei es drum, auch mit diesen Abzügen ist The Flowers of Romance immer noch auf einem hohen Niveau unterwegs.
TOP: Four Enclosed Walls; Phenagen; Flowers Of Romance; Under the House; Hymie’s Him; Go Back
Public Image: First Issue (1978) – 8,3/10: Bester Stoff!
Mit seiner neuen Band wagte John Lydon einen stilistischen Quantensprung: weg von den rohen Punk-Tönen und hin zu dem gerade neu entstehendem Post-Punk. Er blieb sich jedoch selbst treu und erschuf erneut ein Album, das die Kritiker provozierte und sehr umstritten ist. Statt mit Schock-Themen und brachialem Sound dieses Mal mit Klängen dicht am Avant-garde. Geblieben ist dabei aber der gewohnte, gröhlende Gesang. Fans der Sex Pistols wurden gleich beim Opener „Theme“ überfordert: statt Punkrock gibt es nun psychedelischen Avant-garde. Noch extremer fiel es dann bei „Religion“ aus. Während „Religion I“ eine Spoken Word-Ansprache ist, gerät „Religion II“ immer weiter in Richtung Dadaismus. Daneben gelang mit „Annalisa“ ein richtiger Post-Punk Hit mit genialem Riff, der nur noch von der Single „Public Image“ getoppt wurde. Die dreckige Attitüde der Sex Pistols kam wieder wunderbar zum Vorschein, auch wenn das Instrumental keineswegs an die Vorgängerband erinnert. Dann müssen leider ein paar Abstriche gemacht werden: „Low Life“ und „Attack“ wirken etwas unausgereift und ziehen das Album etwas nach unten. Wenigstens die einzigen bemerkenswerten Schwachpunkte des Albums. Der Schlusstrack „Fodderstompf“ ist umstritten, aber definitiv nicht langweilig. Ein hoher, teils kreischiger Gesang, der von einem Bassriff unterlegt ist. Durchaus streitbar, auf einem ohnehin schon experimentellen Album aber durchaus passend. Lydon zeigte deutlich dass er sich weiterentwickeln wollte, aber dennoch zu seinen Wurzeln steht.
TOP: Theme; Religion II; Annalisa; Public Image; Fodderstompf
Metal Box (1979) – 9,5/10: Meisterwerk!
Auf dem ersten PiL-Album zeigte Lydon bereits seine experimentelle Ader, auf Metal Box trieb er es dann noch auf die Spitze. Bereits im Vorfeld wird das deutlich: dem Titel gerecht, erschien das Album auf drei Schallplatten, die in einer Metalldose lagern. Da verwundert es natürlich nicht, dass auch bei der Musik ein unkonventioneller Weg eingeschlagen wurde. Der überwiegende Teil der Stücke klingt sehr angespannt bis nervös. Über die eine Stunde Laufzeit ist es ein echtes Abenteuer das auszuhalten, aber dennoch wird es zu keinem Zeitpunkt langweilig. Dabei wandelt sich dennoch alle paar Lieder der grundlegende Stil: „Albatross“ klingt eher trostlos und metallisch, während es auf „Memories“ und „Swan Lake“ (bzw. „Death Disco“) deutlich kunstvoller zugeht. „Careering“ und „No Birds“ sind sehr psychedelisch und letzteres driftet zuweilen ins Albtraumhafte. „The Suit“ hat einen bassunterlegten, monotonen Gesang zu bieten, während „Bad Baby“ erneut sehr nervös wird. Beide Stücke haben teils nur wage Songstrukturen. Verteilt auf das Album gibt es allerding auch immer wieder Eingängigeres: das schwermütige „Poptones“ und das lässige Instrumental „Graveyard“ beweisen Lydons Gespür für qualitative Melodien. Abschluss dieses Experimentalwerks bildet die Post-Punk-Suite „Socialist/Chant/Radio 4“. Damit endet das Album mit einem absoluten Highlight, denn die langen Instrumentalparts und genial eingesetzten Synthies überzeugen gleichermaßen die Avant-gardisten wie die Rockhörer.
TOP: Albatross; Memories; Swan Lake; Careering; No Birds; Graveyard; The Suit; Bad Baby; Socialist/Chant/Radio 4
Never Mind the Bollocks, Here’s the Sex Pistols (1977) – 10/10: Meisterwerk!
Es gibt einige Alben bei denen vieles dagegen sprach, dass sie zu Klassikern werden und es dennoch so eintrat. Bei diesem Album war es allerdings der Extremfall: Der Bassist fiel aus und der Ersatz war nicht in der Lage die Lieder zu spielen, die Texte quollen so vor Tabuthemen über dass sie im Radio nicht gespielt werden durften, weder Gesang noch Instrumente klangen sauber und bereits im Vorfeld distanzierten sich diverse Plattenlabel und Live-Locations von der Band. Nichtsdestotrotz erschien das Album so wie die Band es sich vorgestellt hatte und zeigte damit dass es durchaus Sinn ergibt, wenn die Plattenlabel ihren Künstlern kreativen Freiraum geben. Trotz (oder gerade wegen) ihrer Kontroversen entwickelten sich Stücke wie „God Save the Queen“ oder „Anarchy in the U.K.“ zu absoluten Punkhymnen. Ebenso natürlich „Holidays in the Sun“ und „Pretty Vacant“. Aber auch abseits der offensichtlichen Hits hat das Album einiges zu bieten: das kühle „New York“, das hymnische „Seventeen“ oder die Hasspredigt „Liar“ sind den Klassikern ebenbürtig. Auf „E.M.I.“ ließ die Band ungefiltert ihre Wut über das Plattenlabel raus, für den größten Skandal sorgte „Bodies“ auf dem es detailliert um Abtreibungen geht. Das Album hat aus heutiger Sicht seinen größten Reiz dadurch dass es eigentlich hätte floppen und in Vergessenheit geraten sollen… stattdessen entwickelte es sich gegen alle Widerstände zu einem der bekanntesten Alben überhaupt.
TOP: Holidays in the Sun; Liar; No Feelings; God Save the Queen; Problems; Seventeen; Anarchy in the U.K.; Bodies; Pretty Vacant; New York; E.M.I.
Sex Pistols und Public Image Ltd Live
Die Sex Pistols bekamen recht früh schon ein von Fans aufgezeichnetes Bootleg-Album mit dem Titen „Anarchy in the U.K: Live at the 76 Club“ (Zwiespältig!). Die Club-Atmosphäre ist zwar nett, aber die Soundqualität leider grottig. Hinzu kommen die viel zu vielen Unterbrechungen. Kurios ist der Zusammenschnitt „Some Product: Carri on Sex Pistols“ (Ohne Wertung!), für das verschiedene Interviews und Jingles zu einer Collage zusammengefasst wurden. Damit eine starke Geschmackssache. Im Jahr 1996 wurde ein Reunion-Konzert unter dem Titel „Filthy Lucre Live“ (Gelungen!) veröffentlicht. Die Band ist in Topform, aber der Sound lässt zu wünschen übrig. Im Laufe der Zeit wurden auch viele angebliche Livealben der Sex Pistols veröffentlicht, bei denen teils erwiesen wurde, dass sie nicht von der Band stammen oder es zumindest angezweifelt wird. Das prominenteste Beispiel ist dabei wohl „Raw and Live“ (Reinfall!) aus dem Jahr 2004.
Das erste Livealbum von PiL erschien 1980 unter dem Titel „Paris au Printemps“ (Zwiespältig!). Teils ziehen sich die Lieder und es wird gemunkelt, die Aufnahmen seien separat von dem eigentlichen Konzert angefertigt worden – das würde erklären warum kein Publikum zu hören ist. Ganz anders sieht es mit dem drei Jahre später erschienenen „Live in Tokyo“ (Meisterwerk!) aus. Die Band holt alles raus, was in ihrer Macht steht und schafft damit eine unvergleichliche Stimmung. „Live at the Isle of Wight“ (Gelungen!) dokumentiert zwar einen guten Auftritt, aber die Soundqualität ist sehr mau. Da lohnt sich dann eher „Live at O2 Shepherd’s Bush Empire“ (Bester Stoff!) aus dem Jahr 2015. Die Band bringt das Publikum zum Kochen und zeigt einmal mehr dass sie live mit ihren früheren Auftritten noch mithalten können.
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